adiff

Credits: Jessica Richmond/Angela Luna

Angela Luna ist Designerin. Doch statt Prêt-à-porter entwirft sie mit ihrem Label „Adiff“ funktionale Kleidung für Geflüchtete. Mäntel als Zelte, Jacken als Rucksäcke. Ihre Abschlusskollektion an der Parsons School of Design trug den Namen: „Design for a Difference“ und definierte die Grenzen der Mode neu.

MARVIN KU: Angela, deine Kleidung rettet vielen Menschen das Leben. Warst du schon immer eine verantwortungsbewusste Person?
ANGELA LUNA: Während meiner Studienzeit wurde ich zwar auf jeden Fall verantwortungsvoller. Aber erst 2015 habe ich das Gefühl bekommen, wirklich „aufgewacht“ zu sein.

KU: Wie kamst du zu der Idee, Kleidung für Flüchtlinge zu machen?
LUNA: Als ich die Bilder gesehen habe, wie Menschen zu Fuß durch Europa liefen, die geschwächt und gezeichnet waren, habe ich es nicht ausgehalten. Ich musste irgendwas tun.

KU: Wolltest du je etwas Politisches tun?
LUNA: Ohne mein Designstudium wüsste ich gar nicht, dass ich überhaupt an Politik interessiert bin! Aber ich weiß nicht, ob ich so sensibel und emotional über diese Flüchtlingskrise denken würde, wenn ich etwas Politisches studiert hätte. Aber jetzt möchte ich mich in der Politik engagieren, um noch mehr verändern zu können.

KU: Wie kam deine Idee in der Uni an?
LUNA: Alle waren geschockt! Und gleichzeitig neugierig, wie es aussehen würde. Meine Professoren waren am Anfang skeptisch, ermutigten mich aber zu der Herausforderung. Und die anderen aus meiner Klasse meinten, dass es auf jeden Fall ein Thema sein würde, was viel Staub aufwirbelt.

KU: Und glaubst du, dass du deinen Traumjob gefunden hast?
LUNA: Mein Traum ist es, die Welt zu einem positiveren Ort zu machen. Auf jeden Fall denke ich, dass ich etwas tue, was ich schon lange tun wollte. Ich glaube schon, dass es mein Traum sein könnte.

KU
: Wann hast du das erste Mal ein Flüchtlingsheim besucht?
LUNA: Das war letzten November. Es war, wie man es erwartet hat, aber trotzdem eine emotionale Erfahrung. Man denkt, dass man durch Bilder, Berichte oder Interviews vorbereitet sein würde, aber es ist vollkommen anders, wenn man die Leute trifft.

KU: Wie viele Modelle sind in deiner Kollektion?
LUNA: Es sind sieben Jacken mit sechs verschiedenen Funktionen. Es gibt zwei Jacken, die sich zu Zelten aufbauen, eine, die man auch als Schlafsack benutzen kann und eine andere Jacke reflektiert Licht oder tarnt. Eine ist gleichzeitig eine Schwimmweste und die letzte hat Tragegurte für Babys

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KU: Wie zeichnet man eine Jacke, die gleichzeitig ein Zelt ist?
LUNA: 3-Dimensionales Zeichnen war sehr wichtig. Es ist unmöglich, ein Zelt zu „zeichnen“, das gleichzeitig eine Jacke sein sollte.

KU: Wie wurden deine ersten Entwürfe unter den Flüchtlingen aufgenommen?
LUNA: Es gab keine einzige negative Reaktion. Aber vor allem haben sie die Produkte wirklich gebraucht. Die Kleidung, die an das Camp gespendet wird, ist nicht optimal an die Bedürfnisse der Menschen angepasst.
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KU: An welche Reaktion erinnerst du dich am besten?
LUNA: Als ich in einem der Camps war, habe ich einem 8-jährigen Mädchen von unserem Projekt erzählt und ihre Augen haben sofort aufgeleuchtet. Ich habe sie gefragt, welches Teil sie am liebsten haben würde und sie sagte: „Dieses.. eigentlich das hier.. nein das!“ und am Ende hat sie auf alle gezeigt. Sie wurde meine Übersetzerin für dieses Camp und war großartig.

KU: Also beziehst du deine Information über die Bedürfnisse von Geflüchteten aus erster Hand?
LUNA: Am Anfang noch nicht. Da haben wir alles Online gesammelt, durch Nachrichten, Videos oder Interviews. Der erste Kontakt zu Geflüchteten war schwer. Erst seitdem ich das Projekt öffentlich gemacht habe, fand ich einige Freunde unter ihnen. Dank ihren Feedbacks konnte ich weitermachen.

KU: Welche Bedürfnisse und Probleme sind derzeit die größten und welche bestehen immer noch?
LUNA: Als ich angefangen habe, die Kleidung zu designen, wollten die Leute nur raus aus ihrem Land. Also habe ich Kleidung kreiert, die für diese Reise geeignet war. Jetzt haben sich die Bedürfnisse geändert. Manche Menschen sitzen Monate in Camps fest. Es geht jetzt mehr um das Überleben an einem neuen Ort.

KU: Wie kommt deine Kleidung zu den Flüchtlingen?
LUNA: Wir möchten unseren eigenen Vertrieb aufbauen, da die Camps leider sehr unorganisiert sind. Bis zum September 2017 möchten wir unsere erste große Lieferung zustellen.

KU: Die Frage aller Fragen – wie wird Adiff finanziert?
LUNA: Ich hatte das Glück, den Eyes on Talents Innovation Award zu erhalten, der mit 5.000 Dollar dotiert ist. Das hat bis jetzt gereicht, aber jetzt schauen wir uns nach Investoren um. Die „Kickstarter“-Kampagne ist unser erster Versuch, um Kapital zu sammeln.

KU: Was ist mit anderen Institutionen?
LUNA: Bis jetzt bin ich auf mich allein gestellt. Wir sprechen mit einigen Investoren und Marktführern, um eine Partnerschaft zu ermöglichen, aber ich kann nicht mehr sagen.

KU: Wo ist das Interesse an Adiff am größten?
LUNA: Unser Projekt kommt sehr gut an, vor allem in den USA, Russland, China, Deutschland, Australien und Großbritannien.

KU: Ist deine Kleidung eigentlich für den Verkauf gedacht?
LUNA: Für Flüchtlinge sind es Spenden. Aber wenn ein Kunde bei uns eine Jacke kauft, bezahlt man technisch gesehen gleich für Zwei. Im Preis sind die Kosten für eine Jacke für einen Flüchtling schon einberechnet.

KU: Wie kann man dich und Geflüchtete am besten unterstützen?
LUNA: Mit jedem Kauf unserer Produkte kann man Adiff unterstützen. Und um Geflüchteten zu helfen, meldet man sich am besten in einem Flüchtlingsheim oder anderen Hilfsorganisationen in der Nähe. Auch das Anschreiben von lokalen Politikern ist ein großer Schritt.

KU: Würdest du sagen, dass du noch immer Mode kreierst?
LUNA: Technisch gesehen mache ich noch Mode, aber ich würde mich nicht als „normale“ Designerin sehen. Es ist eine Sache, Produkte herzustellen, nur um Produkte herzustellen. Eine andere Sache ist es, Dinge zu tun, die tatsächlich einen Zweck haben.

KU: Die Modeindustrie hält sich oft aus den Problemen der Welt heraus. Wie denkst du darüber?
LUNA: Ich glaube, dass Mode sich selbst im Weg steht. Natürlich ist Laufstegmode wunderschön. Aber unsere Welt hat sich verändert und die Modeindustrie hat die Verantwortung, sich mit ihr zu verändern. Designer, die das nicht realisieren, sind einfach verantwortungslos.

KU: Wie also kann Mode die Welt zu einem besseren Ort machen?
LUNA: Als erstes kann sie Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für ernsthafte Themen generieren. Zweitens kann Mode einen Teil ihres Kapitals benutzen, um die Ursachen zu ergründen. Und drittens kann sie ihre Fähigkeiten dazu nutzen, um kreative Herangehensweisen zu alten Problemen zu kreieren.

KU: Sollte Mode also weniger ästhetisch und mehr funktional werden?
LUNA: Ich denke, Ästhetik ist wichtig, sollte aber nie das Hauptaugenmerk sein. Ich bin es Leid, Kleidung zu designen, die man nur ein Mal trägt. Ich denke, dass die Zukunft der Mode Funktionalität braucht. Wunderschöne Funktionalität, aber trotzdem praktisch.

Weitere Infos findet ihr auf www.adiff.com