Das Engadin gehört zu den höchstgelegenen bewohnten Tälern in Europa. International bekannt geworden ist es vor allem durch St. Moritz, dem Dorf das seit Jahrzehnten der Spielplatz der Schönen und Reichen, Stars und Sternchen ist.
Glamourfrei und ohne prätentiöse Allüren präsentiert sich Pontresina, wo auch Prominente ihren Rückzugsort finden. Bundeskanzlerin Angela Merkel verbrachte schon einige Weihnachtsurlaube in dem beschaulichen Dörfchen. Platzhirsch in Sachen Edelherbergen ist das unter Denkmalschutz stehende Grand Hotel Kronenhof, das zu den exklusivsten und geschichtsträchtigsten Alpenhotels im Engadin gehört.
Manche bezeichnen es als Hotel „die alte Dame an der Via Maistra“, wie im Romanischen die Hauptstraße genannt wird.Mit seinen neobarocken Deckenfresken, Stuckornamenten in Pastell und Gold, Intarsien-Parkett und Kristalllüstern verbindet der Kronenhof den Reiz der Belle Époque mit dem Dolce Vita des 21. Jahrhunderts – und bietet so das Beste aus zwei Engadiner Welten: Es ermöglicht, die glitzernde Show des nahen St. Moritz in einer friedvollen Umgebung zu genießen.
2007 ließ es sich die griechische Reederfamilie Niarchos umgerechnet 30 Millionen Euro kosten, den Kronenhof von Grund auf zu renovieren. Seither glänzt das Haus mit dem 2000 Quadratmeter großen Spa mit einem weiteren Highlight. Im 20 Meter langen Infinity-Pool schwimmt man den umliegenden Bergen förmlich entgegen, meterhohe Glasfenster geben die Sicht auf die Wälder und Berge des Engadin frei. Schade nur, dass manche Bäder der Zimmer mit ihren weißen Fliesen und der grellen Beleuchtung den Charme eines OP-Saales versprühen.
Gleichwohl – und mit gutem Grund wurde das Haus kürzlich vom weltgrößten Reisebewertungsportal TripAdvisor mit dem ‚Traveller’s Choice Award 2015’ ausgezeichnet und, dank der fünften Auszeichnung in Folge, mit dem Zertifikat für Exzellenz in die „Hall of Fame“ des Portals aufgenommen.
Champions League des Jet-Sets
Im Grand Hotel Kronenhof sind es neben dem erstklassigen Team auch die Gäste, die zur Wohlfühlatmosphäre beitragen. Man ist sich nicht zu schade, zu grüßen. Standesdünkel gibt es in diesem Refugium der Ruhesuchenden nicht. Während beim tadellosen Service im Grand Hotel Kronenhof keine Wünsche offen beiben, läuft im Schwesterhotel Kulm in St. Moritz nicht immer alles rund.
Ist der Empfang und der Check-In sowie der Zimmerservice ausgezeichnet, grüßt der Restaurantleiter beim Frühstück nicht einmal beim Verlassen des Grand Restaurants – obwohl der vorbeigehende Gast nicht zu übersehen ist. Ob das im Sinne von Hotelpionier Johannes Badrutt ist, der 1864 mit dem Kauf des Kulm Hotels den Aufstieg von St. Moritz in die Champions League des internationalen Jet-Sets begründete?
Apropos Frühstück: Während der Service zum kulinarischen Start in den Tag im Kronenhof keine Wünsche offenlässt, bleiben im Kulm die benutzten Teller lange stehen. Schon um neun Uhr sind sämtliche Zeitungen vergriffen. Wer sein Frühstück mit einem Crêpe mit Nutella versüßen möchte, muss dafür zusätzliche 15 Franken berappen. Selbst für eine Waffel – üblicherweise bei Fünfsternehäusern im Buffet enthalten – werden zehn Franken fällig.
Ein erstklassiger Service und der beglückende Ausblick auf den St. Moritzersee erwarten uns dagegen am Abend in der Miles Davis Lounge. Eine hochklassige Auswahl an Zigarren und Whiskeys und die gute Beratung lassen die Defizite beim Frühstück schnell vergessen. Eine Padron 1964 Imperial Maduro aus vier Jahre gelagertem Tabak und ein Diplomático Reserva-Rum aus Venezuela nebst Schokolädchen aus Tansania machen den Abend zum stillen Erlebnis.
Den Gast im Visier
Mit historischem Ambiente und uriger Atmosphäre lockt tags darauf das Gourmet-Restaurant Kronenstübli im Kronenhof. Originale Bündner Holzmöbel und getäfelte Wände prägen das Ambiente. Nebenan ist noch die dämmrige Bürostube der Gründerfamilie Greding erhalten, die das frühere ‚Gasthaus zur Krone-Post’ und später das Hotel über einen Zeitraum von 140 Jahren besaß. „Die alte Frau Greding hatte von hier aus den besten Blick auf die Ankunft der Gäste“, munkelt man im Haus „je nach Anzahl und Klasse der Koffer hat sie dann individuell die Preise festgesetzt.“
15 Gault Millau-Punkte hat sich Fabrizio Piantanida mit seiner klassisch-französisch sowie traditionell-italienisch inspirierten Küche erkocht. Das unangefochtene Highlight im Kronenstübli ist Canard à la Presse, am Tisch zelebriert mit der silbernen Entenpresse. Ein Erlebnis das im Tour d’Argent, Paris, dem ältesten Restaurant Frankreichs, seit einem Jahrhundert die Gäste begeistert.
Während die Ente im Ofen gegart und mit der Haut gebraten wird, werden die Karkassen, Herz und Leber in einer Spindelpresse zur Grundlage einer einzigartigen Sauce ausgepresst.Unter den Suppen sticht die präzise durchgearbeitete Poularden-Bouillon mit Entenleber, Trüffel und Lardo di Colonnata heraus. Die Zugabe von Meerrettich erweitert das sensorische Spektrum, ohne jedoch zu dominieren.
Dass Küchenchef Fabrizio Piantanida sein Handwerk und die Produkte beherrscht, zeigt auch das Nierenstück vom Kalb, das er mit gegrillten gelben Peperoni, Kartoffeln und Rucola kombiniert und geschmacklich mit einem ‚Salat vom Kalbskopf’ erweitert. Sommelière Adriana Novotna reicht dazu mit dem 2011er Syrah aus dem Weingut Histoire d’Enfer einen Wein, dessen Pfeffernote hervorragend mit der Würze der Peperoni harmoniert. Schwarze Kirschen und Lakritz in der Nase, präsentiert er sich elegant und dicht am Gaumen – mineralisch mit kräftiger Aromatik.
Seit 2003 kümmert sich Novotna, die ihre Ausbildung im Vamp’s in Düsseldorf begann, um die Gäste im Kronenstübli. 2009 wurde sie vom Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz zum Maître d’Hôtel des Jahres gewählt. Eine Augen- und Gaumenweide ist der ‚Costa Rica Regenwald’. Costa Rica-Schokolade mit 70 Prozent Kakao, Waldbeeren und Tahiti Vanille sind die Ingredienzen, die ein feines Spiel der Geschmacksnuancen entfalten.
Genuss auf dem Gipfel
Durchaus doppeldeutig gemeint ist der im Juli erstmals ausgerichtete Gourmetgipfel. Austragungsort ist nämlich das Panorama-Restaurant des Piz Nair in 3.057 Metern Höhe. Dort gibt es nur ein Manko: Traumhafte Aussichten auf die Schweizer Berglandschaft sind nicht garantiert. Am Tag des Events zeigt sich Petrus wenig versöhnlich und schickt Regen und dicke Wolken.
Hans Nussbaumer aus dem Kulm Hotel St. Moritz (16 Gault-Millau Punkte), Fabrizio Piantanida und Erwin Koch vom Panorama Restaurant des Piz Nair verderben – ganz im Gegensatz zum überkommenen Bonmot – nicht den Brei. Im Gegenteil: Was auf den Teller kommt, kann sich nicht nur sehen lassen, es verzückt auch den Gaumen. Beim Gipfelmenü geben sich die Herren der Herde rundum lokalpatriotisch: Sämtliche Produkte stammen aus dem Engadin.
Dass in dieser Region die Qualität stimmt, zeigt sogleich der topfrische marinierte Seesaibling aus dem nahegelegenen Silsersee, der das Entrée gibt. Es folgt eine Consommé von der Wachtel aus S-Chanf mit Gemüse-Julienne. Butterzart ist der geschmorte Rindshuftdeckel (die zwei Pünktchen auf dem U fehlen hier bewusst) ‚Bergeller Art’ mit Polenta Bramata und Sommergemüse. Als Dessert haben sich die kreativen Küchenköpfe einen Engadiner Sauerrahm-Pudding im Glas ausgedacht, mit Heidelbeeren und – wie könnte es anders sein – einem Stückchen Engadiner Nusstorte.