New Hip Hop: Ãœber Ihn, Sie und die Mode

Wie sich das Männlichkeitsbild durch Mode veränderte

Brooklyn, 1988

Der Beat ist magisch. Eine Menschenmenge steht um einen Jungen herum. Sie beobachten ihn, hängen an seinen Lippen. Sie sind unauffällig gekleidet, tragen alte Hemden und Baseball Caps. Alle sind dunkelhäutig. Der Junge hat ein Mikrofon in der Hand, er rappt zu einem Beat, der von einem alten Ghettoblaster abgespielt wird. Er ist erst 17 Jahre alt, aber er überragt die meisten um einen halben Kopf. Jungen in seinem Alter werden kaum ernst genommen. Aber die Leute um ihn herum nicken im Takt, wiegen ihre Schultern, hören im zu. Sein Rap hat Flow. Der Beat ist magisch.

Es ist eine Szene aus einem kurzen Videoclip auf Youtube. Der Junge, der die Massen in seinen Bann zieht, heißt Christopher George Latore Wallace. Wenige Jahre später wird er als Notorious B.I.G. weltbekannt sein. Zu dieser Zeit, Ende der 80er Jahre, hat der Hip Hop bereits eine Phase erreicht, der ihn von einer einfachen Jugendbewegung von der Straße zu einem internationalen Gesellschaftsphänomen transzendiert.
Doch beschränkt sich die Hip Hop Kultur nicht nur auf die Musik. Vielmehr ist es ein mehrschichtiges Konstrukt aus den verschiedenen Elementen.
Die Ursprünge des Hip Hop kamen aus dem New York der 1970er Jahre, genauer gesagt aus den ärmeren Stadtvierteln wie die Bronx, Harlem oder Queens. Die dort lebende Bevölkerung war hauptsächlich afroamerikanischer Herkunft – Sie waren verarmt, deklassiert und vom Rest der Gesellschaft isoliert, weshalb sie unter sich blieben und so die Ghettos entstanden.
Die Einwohner trafen sich zu sogenannten Block Partys und aus dem Unterhaltungsprogramm wurden zwei der fundamentalsten Elemente des Hip Hop: DJing und Break Dance. Zur Unterstützung gab es den MC, den Master of the Ceremony, der eine Art Moderator war und immer die Menge durch Sätze wie „Put your hands in the air!“ anfeuerte. Dadurch entstand erst ein Sprech-Flow, der sich später zum musikalischen Sprechgesang kristallisierte. Wegen der Beliebtheit, rückten der DJ und die Beats in den Hintergrund, zugunsten des MC – der Rap war geboren.
Neben den vorigen Disziplinen, gehörten noch Writing (Graffitti) und Beatboxing zur Hip Hop Kultur. Was diese Kategorien gemeinsam haben, ist der stetige Wettbewerbsgedanke, der ein Grundprinzip des Hip Hop ist.

In einer Zeit als die Rassenunruhen zunahmen und die gesellschaftliche Isolation ihren Höhepunkt fand, bildeten sich in den Ghettos viele Gangs, die sich untereinander bekriegten. Durch Hip Hop und seine verschiedenen Disziplinen hatten die Menschen ein friedlicheres Mittel gefunden sich zu messen. Dabei wurde immer der Gedanken der Selbstdarstellung beibehalten – der Beste zu sein und den Gegner zu besiegen. Diese Versinnbildlichung des Kampfes, die Wurzeln des Gangsta Rap, findet sich auch in vielen Hip Hop Gruppen wieder, darunter Public Enemy, die dafür bekannt waren mit Waffen zu posieren.

Durch die immer zunehmende Popularität von Hip Hop, und die steigende mediale Aufmerksamkeit, entwickelte sich auch ein (politisches) Sprachrohr. Der Rapper wird zum Reporter, zum Aufklärer der Straße. Es wurde über das harte Leben gerappt, über die Gefahr und den Überlebenstrieb. Der Rapper selbst erscheint aber stets abgebrüht, brutal, skrupellos – ein Macho. In den Texten wird eine härtere Sprache angeschlagen und vermehrt über „bitches“ (Schlampen), „hoes“ (Huren) und „hustlers“ (Einzelgänger ohne Gang) gesprochen. Andere beliebte Themen sind Sex, Drogen und Alkohol, oft mit wohlwollendem Unterton. Man galt als Mann, wenn man überlebte, sich einen Namen machte und Respekt genoss. Das zeigte sich durch Quantitäten: Wer hat die meisten Männer getötet, wer hatte die meisten Frauen und vor wem hatte man am meisten Angst.
Homosexualität war dementsprechend ebenfalls ein absolutes Tabu, weil Schwule aufgrund ihres femininen Charakters als „weich“ galten. Dies steht wieder im Gegensatz zum stereotypen Heterosexuellen, der „hart“ erscheinen will.

Obwohl die Bandenkriege und das „Thug Life“, das „Gangster Leben“, was durch den Rapper Tupac Shakur berühmt wurde, vorbei ist, bleibt das Image. Um die Hip Hop Kultur authentisch zu halten, wird im 20. Und 21. Jahrhundert immer noch frauenfeindlich und homophob gerappt. Nahezu jeder Song von 50 Cent lehnt an das harte Leben auf der Straße an, Eminem beleidigt immer noch Schwule und Snoop Dogg rappt(e) über Drogenkonsum und Sex.
Das gleiche gilt im deutschen Raum: Als Pendant kann man Bushido, Sido oder Haftbefehl nennen, die immer noch am protzigen, maskulinen Bild festhalten – was aber zu bröckeln anfängt. Der Aufstieg von Rapperinnen wie Iggy Azalea, Lady Leshur, Missy Eliott und Angel Haze zeigt dies. Obwohl einige von ihnen trotzdem noch das maskuline, harte Image einfach auf die weibliche Seite ummünzen, also das Gangster Girl spielen, ist der allgemeine Anstieg von Frauen im patriarchalen Männerbusiness das Zeichen eines Umschwungs in der Hip Hop Szene.

Auch auf der Männerseite ändert sich einiges. Als markantes Beispiel kann man den Rapper Drake nennen, der unvergleichlich für den Umbruch der Hip Hop Szene steht. Seine Texte sind von Zwiespalt zerfressen, mal Romantiker, mal Gangster, mal Gelegenheitszuhälter, dann wieder der Bruch mit dem weltbekannten Song „Hotline Bling“ durch den er zum ewigen Meme und Internetphänomen lächerlich gemacht wurde. Aber trotzdem ist er unfassbar erfolgreich, das Musikbusiness liebt ihn und auf der Musikplattform Spotify knacken seine Songs die neunstellige Marke an Aufrufen.