Russlands Hinterland ist von unglaublicher Größe. Unzählige Quadratmeter von Landfläche, eine unerforschte Wildnis, welche die Größe eines Kontinentes hat, erstreckt sich über das Land. Wälder, so gigantisch wie manche Meere, breiten sich hier aus. Riesige Steppen, ein weites Land…

Genau diese Endlosigkeit wurde sich oft zu Nutzen gemacht. Schon je her und teilweise noch bis heute wurden und werden Straftäter hierher verbannt, um Forstarbeit und ähnliches zu betreiben. Es gibt keine Mauern, wo sollte man auch hin fliehen? Doch flohen auch Menschen hier her um sich vor Krieg, Seuche und staatlichem Terror zu verbergen. Die meisten dieser Fluchten gab es zwischen den 20er und 40er Jahren, als ein Krieg vom nächsten abgelöst wurde und die Terrorherrschaft Stalins begann. Viele der Fliehenden kamen irgendwann zurück, doch gibt es auch Fälle, bei denen das ein wenig anders ablief…

Die Familie Lykow ist so ein Beispiel. Da der Vater einer christlichen Sekte anhing, die sich selbst für die einzig wahren Christen hielten, lebten sie schon weit entfernt von größeren Städten. Sie warteten darauf, dass das gesamte satanische Reich untergehen sollte und die große Erlösung nahte. Als nun die Kommunisten an der Macht waren (besonders gottlos!) drohten Repressionen und so zog die Familie an den Oberlauf des Abakan, 250km entfernt von jeder Siedlung.

Seiner Religion entsprechend lehnte der Vater jede moderne Technologie ab und so lebte die Familie in den Tiefen Sibiriens wie im Mittelalter. Jetzt wird es erst einmal ruhig um die Familie, lassen wir ein paar Jahre vergehen…

Es ist 1978, ein Team von Geologen sucht nach Erzen und Mineralien am Oberlauf des Abakan, sie stoßen auf eine Hütte, in welcher Menschen leben. Die Familie Lykow, der Vater lebt hier noch zusammen mit zwei Söhnen und zwei Töchtern, die Mutter ist schon vor über 15 Jahren an Hunger gestorben. Ein Heimatforscher soll später ihre Lebensverhältnisse so beschrieben haben:

„Feuer machen sie mit dem Wetzstahl, Licht erzeugen sie durch Kienspäne… Sie leben wie in der Zeit vor Peter dem Ersten, vermengt mit ein paar Spritzern Steinzeit. Im Sommer laufen sie barfuß, im Winter tragen sie Schuhwerk aus Birkenrinde. Sie benutzen kein Salz, Brot kennen sie nicht. Die Sprache haben sie bewahrt.“

Wassili Peskow: Die Vergessenen der Taiga

Kurz darauf verstarben mehrere Mitglieder der Familie, bis nur noch die jüngste Tochter Agafja lebte. Sie bestritt weiter ihr karges und hartes Leben, doch wurde sie nun öfter von Reportern und Fernsehteams besucht, die ihr Leben aufzeichnen wollten. Nach und nach riss auch der Kontakt zu ihr, das Geologenlager schloss und Helikopterflüge wurden immer teurer. Zuletzt gab es 2012 noch Kontakt zu ihr, regelmäßig schrieb sie davor Briefe an den Gouverneur, er solle ihr bitte Netze und Werkzeug schicken, doch wolle sie in ihrem primitiven Lebensstil verbleiben. Der deutsche Autor Jens Mühling, der sie 2010 einmal sah, meinte, dass sie entschlossen habe, hier in der Taiga zu sterben wie ihre Familie.