Der französischsprachige Schweizer Philosoph und Autor Henri-Frédéric Amiel schrieb einmal in sein Tagebuch:

„I find myself regarding existence as though from beyond the tomb, from another world; all is strange to me; I am, as it were, outside my own body and individuality; I am depersonalized, detached, cut adrift. Is this madness?“
“Ich finde mich selbst in einer bereuenden Existenz wie aus einer anderen Welt, alles ist fremd für mich, ich bin außerhalb meines Körpers und meiner Identität, ich bin depersonalisiert, separiert, gelöst, treibe davon. Ist das Wahnsinn?“

Durch diesen Eintrag vom 8. Juli 1880 wurde zum ersten Mal schriftlich niedergehalten, wie es sich anfühlt, seine Persönlichkeit zu verlieren. Psychologen lasen aus den Tagebüchern Symptome einer geistigen Krankheit heraus und erstellten eine Diagnose. Amil war nun 9 Jahre tot, doch retten seine Tagebücher viele sogenannte Windmenschen. Hierbei handelt sich um Menschen, die von einer sehr seltenen psychischen Krankheit betroffenen sind. Aus eben jenem Grund ist sie so gefährlich. Kaum jemand weiß, was mit ihm geschieht, viele Patienten leben ein Dasein in vollkommener Unwissenheit und verlieren sich.
Doch wie fühlt es sich an? Was geht im Kopf einer betroffenen Person vor? Ich kann es euch sagen, denn seit um die sechs Jahren schon verwandelte ich mich immer mehr in einen von ihnen, eine Diagnose habe ich erst vor ein paar Monaten erhalten.

Die größte Schwierigkeit ist, dass diese Krankheit selten allein auftritt, sie kommt in Kombination mit anderen charakterlichen Störungen oder Akzentuierungen, die eine Diagnose erschweren. In meinem Fall war es eine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung zusammen mit einer mittelschweren Depression.

Ich weiß nicht, wie ich mich fühle, ich habe keine Ahnung, wie ich mich zu verhalten habe, mir fehlt das Maß dafür. Ich weiß nicht so genau, wie ich aussehe, ab und an brauche ich eine kleine Weile, um mich daran zu erinnern. Meine Erinnerungen verschwimmen wie Wasser, Nebel, Wind. Mein Kopf fühlt sich so oft nur leer an. Regelrecht charakterlos weiß ich nicht mehr einmal, was ich vom Leben noch will. Und schon lange habe ich nicht mehr richtig gefühlt.

Mein Kopf übernimmt alles und was nicht logisch ist, wird unterdrückt. So ist meistens nur Platz für klare Befehle, nicht aber für Emotionen. Der Kopf verbietet es. Und mit dem Verlust der Gefühle kommt die Einsamkeit. In einem Raum voller Menschen fühlst du dich allein. Deine längsten Weggefährten werden dir fremd, alles ist taub, keine Verbindung mehr zwischen dir und all denen, die du mal geliebt hast. Du fühlst dich nun dieser Welt gänzlich fremd, als seist du etwas vollkommen anderes, etwas, was hier nicht mehr hergehört. Der Bezug ist verloren. Jeden Tag, den du länger lebst, treibst du mehr und mehr ab, über ein Meer hinein in einen Nebel, der sich langsam verdichtet, sodass du bald nicht mehr weißt, wo du bist und vor allem, wer du bist.

Egal, was passiert, nichts fühlt sich noch echt an. Keine noch so schöne Begebenheit, kein noch so wundervolles Ereignis verschafft einem noch die kleinste Freude. Lachen fühlt sich falsch an, weinen gibt es schon lange nicht mehr. Keine noch so zärtliche Berührung, kein Kuss und keine Nähe vermögen es noch, etwas auszulösen und so verlieren andere Menschen ihren Reiz für dich. Sie werden dir egal, oder du versuchst alles, um dich in ihnen zu verlieren. Mitgefühl ist nur noch ein Wort, obwohl du Empathie verstehst und ein guter Mensch sein willst, nichts berührt dich mehr. Man könnte morden, ohne auch nur das Geringste zu empfinden.

Dein Leben ist ferngesteuert, als wäre dein Hirn aufgesetzt, ein Steuerelement, welches nicht im Verbund zum Rest des Körpers handelt. Du kannst dir beinahe dabei zusehen. Augen ohne Körper, Fleisch ohne Seele. Etwas, was sich am Leben erhält, jedoch nicht wirklich lebt. Fremd und steif, jede Bewegung fühlt sich an, als sei sie nicht von dir selbst ausgeführt. Dein Körper ist eine Marionette.

Und all das Glück in den kleinen Momenten, alles, was dich ausmacht, verblasst. Keine Erinnerung mehr an all das zu haben, was dich einst definierte, bedeutet auch zu vergessen, wer man eigentlich ist.
Es beginnt ganz klein: Du vergisst, welches Essen dein liebstes war, du beginnst nur noch zu essen, um am Leben zu bleiben. Du vergisst, an welchen Orten du dich einst so wohl gefühlt hast, welche Musik dich bewegte.  Dein Kopf ist leer, alles verblasst mehr und mehr. Neue Erinnerungen bleiben nur teilweise haften, ein einst ausgezeichnetes Gedächtnis zerbricht, einer antiken Marmorstatue gleich, es bleiben nur noch Reste von einer ehemaligen Pracht. Ereignisse, die erst wenige Tage alt sind, gehen verloren. Und gibt es Erinnerungen, sind sie nichts mehr als Fragmente. Déjà-vus nehmen den Platz ihrer ein.

Kälte und Schmerzen werden dir beinahe so fremd wie all die Wärme, welche dir auch so fehlt. Du frierst nicht, du blutest, aber spürst es nicht, körperlich und seelisch. Alles ist taub, ganz stumpf, wie von einer Schicht Neuschnee zugedeckt, geküsst von gnädigem Frost… eine umfassende Schlafparalyse, du willst erwachen, doch hast du zu große Angst davor. Es erscheint dir nun beinahe als Segen, kein Teil mehr dieser Welt zu sein und alles aus der Ferne zu sehen…nicht wahr?

Wenn du dich angesprochen fühlst, wisse, ich weiß, wie es dir geht. Ich kenne den Wald, der die Seele überwuchert, das Biest, welches in ihm lauert. Ich kenne die Kälte, welche alles erfrieren lässt. Wach auf, der Sommer kommt zurück, alles wird eines Tages besser werden. Professionelle Hilfe kann dir dein Leben wieder aufwerten, und neue Tage, welche nicht grau sind, werden kommen, eine Sonne wird erscheinen und dich mit neuer Wärme fluten.

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